Montag, 16. März 2015

Was Schmetterlinge über die Auferstehung sagen

"Eines Tages spielte Claudia im Garten. Da entdeckte sie eine kleine schwarze Raupe mit winzigen gelben Punkten. 
»Iiiihh«, schrie sie, »ist die eklig!« 
Ihr großer Bruder Michael, der dazukam, sagte: 
»Aber nein, die ist ganz harmlos. Komm, wir suchen einen Behälter für sie! Du kannst sie dann mit Brennnesseln füttern.«

Claudia ließ sich überreden, lief ins Haus und holte ein großes Marmeladenglas. Vorsichtig brach der Bruder einen Brennnesselstängel ab, legte ihn in das Glas und setzte das Tierchen dazu. Über die Öffnung kam ein Stück Seidenstrumpf mit Gummiband. 
»Damit sie genug Luft bekommt«, meinte Michael.

Jeden Tag holte Claudia ihrer Raupe frische Brennnesseln und sie beobachtete, wie das Tierchen immer dicker wurde. Doch eines Morgens suchte sie ihre Raupe vergeblich. Als sie das Glas immer wieder drehte, sah sie plötzlich ein komisches braunes Gebilde an einem Stängel hängen, wie ein zusammengerolltes verwelktes Blatt. Darunter ein paar schwarze Stückchen von ihrer Raupe – klein und vertrocknet. Sie fing laut an zu weinen und schrie: 
»Meine Raupe ist tot, meine liebe Raupe!«
Michael kam herein und tröstete sie. 
»Schau«, sagte er, »das, was du siehst, ist nur eine Hülle, so wie eine Haut. Was in der Raupe lebendig war, ist hier drin«, und er zeigte auf das komische braune Ding.

»Aber es ist tot, es bewegt sich doch nicht«, weinte das Mädchen.

»Es sieht nur so aus«, sagte Michael geheimnisvoll.

»Hab nur etwas Geduld und du wirst etwas Wunderbares erleben.«

Wenige Zeit später platzte das braune Ding auf und nach langer Zeit kroch zitternd ein Schmetterling heraus. Seine Flügel waren klein und schrumpelig. Ganz aufgeregt beobachtete Claudia, wie er sie langsam entfaltete und auf und ab bewegte. Er war so wunderschön, dass sie sich gar nicht sattsehen konnte. Doch dann nahm sie den Strumpf vom Glas, öffnete das Fenster und der schöne bunte Schmetterling flatterte hinaus in den hellen Sonnenschein. Lange sah sie ihm nach und war richtig glücklich." aus Kurzgeschichten 10 - Willi Hoffsümmer (Hg.)


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